Anlässlich des diesjährigen Volkstrauertages hat sich Paula Drewes Gedanken zu der Aktualität des Gedenkens am Volkstrauertag und seiner Ausgestaltung gemacht. Paula absolviert in diesem Jahr ein FSJ (Freiwilliges Soziales Jahr) bei der Stiftung Nordfrieland und der KZ-Gedenkstätte Husum-Schwesing.
Jedes Jahr ist der Sonntag zwei Wochen vor dem ersten Advent der Erinnerung an die Opfer von Gewaltherrschaft und Krieg gewidmet. Der Volkstrauertag gehört in Deutschland zu den staatlichen Gedenktagen und an diesem werden an vielen Gedenkorten sowie Friedhöfen Kränze niedergelegt.
Auch in der KZ-Gedenkstätte Husum-Schwesing kamen am diesjährigen Volkstrauertag Vertreter*innen der Gemeinde Schwesing, des Kreises Nordfriesland und der Bundeswehr zusammen, um Kränze am Mahnmal niederzulegen.
Nun mag es auf den ersten Blick schlüssig erscheinen, auf dem Gelände einer KZ-Gedenkstätte, dem Ort also, wo Hunderte Menschen, an anderen Orten sogar Millionen Menschen, durch die Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten ermordet wurden, ebendiesen Opfern der Tyrannei zu gedenken. Jedoch hat der Volkstrauertag eine wechselseitige und durchaus schwierige Geschichte, weswegen die Art und Weise, wie wir den Volkstrauertag momentan begehen, durchaus kritisch zu hinterfragen ist. Dabei stellt sich zwangsläufig die Frage nach einer angemessenen Erinnerungskultur und wie diese aussehen könnte.
Entstehung des Volkstrauertages
Der erste deutschlandweite Volkstrauertag wurde am 1. März 1925 begangen, initiiert von dem 1919 gegründeten ‚Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge‘ (VDK), nachdem bereits 1922 im Deutschen Reichstag eine offizielle Feierstunde abgehalten wurde. Hauptziel war es, die im Ersten Weltkrieg gefallenen deutschen zu „ehren“ und ihnen glorifizierend zu gedenken. Gleichzeitig wurde die Vorbereitung auf den nächsten Krieg bzw. auf eine abermalige Aufrüstung ideologisch eingebunden.
Diese propagandistische Instrumentalisierung des Volkstrauertags wurde von den Nationalsozialisten ab ihrer Machtübernahme im Jahr 1933 weitergeführt. Der Volkstrauertag wurde auf Vorschlag des VDK im Jahr 1934 in „Heldengedenktag“ umbenannt und fand alljährlich im März statt. Er diente vor allem dafür, die deutschen Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg als tapfere Männer, die Deutschland vor Feinden verteidigt hätten, zu stilisieren. Bis 1945 trug die Wehrmacht und die NSDAP die Verantwortung für den Gedenktag.
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges forderte der VDK in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) abermals einen nationalen Gedenktag für die Kriegstoten, jedoch gab es 1949 im Bundestag dafür zunächst keine Zustimmung. Nachdem ein Zusammenschluss von Politik und Kirchen den Bundesländern empfahl, den zweiten Sonntag vor dem ersten Advent als Volkstrauertag festzulegen, wurde dies auch umgesetzt. Seit 1950 findet daher alljährlich am Volkstrauertag eine zentrale Feierstunde im Deutschen Bundestag statt, bei der zuvor in der Neuen Wache in Berlin durch Vertreter*innen aller Verfassungsorgane Kränze niedergelegt werden.
In der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) hingegen gab es nach Ende des Zweiten Weltkrieges einen „Internationalen Gedenktag für die Opfer des faschistischen Terrors und Kampftag gegen Faschismus und imperialistischen Krieg“. Doch auch hier wurde der Gedenktag zu Propagandazwecken missbraucht, da zu diesen Opfern des Faschismus vorwiegend nur kommunistische Widerstandskämpfer zählten, andere Opfergruppen jedoch konsequent vom Erinnern ausgeklammert wurden. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands wurde auch in den sogenannten neuen Bundesländern der Volkstrauertag begangen.
Täter-Opfer-Frage
Das Bundesministerium des Innern und für Heimat bezeichnet den Volkstrauertag als „Gedenktag für die Opfer beider Weltkriege und der Gewaltherrschaft“. Diese sehr weit gefasste Definition birgt schon die Kontroverse in sich, wer zu den Opfern der beiden Weltkriege gezählt werden darf. Denn der Erste Weltkrieg mit über 17 Millionen Toten wurde mitverantwortlich durch das Deutsche Reich begonnen und auch der Zweite Weltkrieg war ein Angriffs- und Vernichtungskrieg, der durch Deutschland initiiert wurde und in dem nicht nur Millionen Zivilist*innen umgekommen sind, sondern auch weitere Millionen Menschen in Vernichtungs- sowie Konzentrationslagern ermordet wurden. Diese Menschen sind definitiv Opfer der beiden Weltkriege, denen an dem Volkstrauertag gedacht werden sollte. Dieser Gedenktag schließt jedoch auch die deutschen Soldaten mit in die Opfer ein. Das ist insofern nachvollziehbar, als dass deutsche Soldaten teils auch gegen ihren Willen in den Krieg ziehen mussten. Allerdings waren die gefallenen deutschen Soldaten nicht nur Kriegsopfer, sondern sie tragen auch eine hohe Mitschuld und Verantwortung. Diese als Opfergruppe mit den unzähligen ermordeten Zivilist*innen sowie Verfolgten gleichzusetzen und am gleichen Tag gemeinsam zu gedenken, ist meiner Meinung nach eine fragwürdige Praxis. Wenn man dabei noch bedenkt, dass der Volkstrauertag zu Beginn die gefallenen deutschen Soldaten sogar ehren sollte, dann lässt sich der Volkstrauertag in dieser Form kaum noch rechtfertigen.
Der Ort des Gedenkens
Der Ort des Gedenkens ist ein weiterer kontroverser Aspekt. Es erzeugt für mich ein paradoxes Gefühl, wenn auf dem Gelände eines ehemaligen Konzentrationslagers Kränze niedergelegt werden, die nicht nur den Opfern der Nationalsozialisten gedenken sollen, sondern auch und ursprünglich den Soldaten, die diese Menschen verfolgt, verschleppt und ermordet haben.
Zusätzlich wirkt die militärische Art, wie die Bundeswehr ihre Kränze niederlegt, auf mich äußerst befremdlich. Wenn Soldat*innen im Gleichschritt auf ein Mahnmal in einer KZ-Gedenkstätte zumarschieren, dann stellt sich mir durchaus die Frage, inwieweit diese Inszenierung dem Anlass angemessen ist Die Bundeswehr begründet den Volkstrauertag u.a. mit der „[…] Reflexion über aktuelle Konflikte und die Notwendigkeit, den Frieden zu bewahren […]“. Daraus wird deutlich, dass militärische Gewalt, als notwendiges Mittel zur Bewahrung des Friedens angesehen wird und eine kritische Hinterfragung dessen vermutlich nicht stattfindet. Weiter erläutert die Bundeswehr auch den Unterschied des Gedenktages in der BRD und der DDR so, dass in der DDR „nicht aber wie in der Bundesrepublik auch die getöteten deutschen Soldaten des Zweiten Weltkriegs“ mitbedacht wurden. Angesichts der zuvor genannten Problematiken der mangelnden Unterscheidung zwischen Opfern und Tätern und des gewählten Ortes für das Gedenken, ist der Auftritt der Bundeswehr beim Volkstrauertag somit meines Erachtens ausbaufähig und benötigt dringend einer Abwandlung.
Neugestaltung des Volkstrauertages
Es lässt sich festhalten, dass neue Ansätze notwendig sind, um den Volkstrauertag in eine moderne Erinnerungskultur umzubetten. Dabei benötigt es einer klaren Distanzierung von der ursprünglichen Intention des Volkstrauertages, nämlich der Ehrung der gefallenen deutschen Soldaten in Kriegen, die sie hauptverantwortlich begonnen haben.
Die Beteiligung der Bundeswehr an diesem Gedenktag ist durchaus schlüssig und notwendig. Sie hat seit Beginn ihrer Gründung über 3.420 Bundeswehrangehörige verloren, die im Dienst oder durch Folgen ihres Dienstes ihr Leben verloren haben. Diesen Einsatz zu würdigen, ist durchaus legitim, aber es muss eine Trennung vollzogen werden zur Historie der Bundeswehr. Der Traditionserlass der Bundeswehr sieht genau diese klare Trennlinie zur Wehrmacht als „Waffenträger des NS-Regimes“ vor. Der jüngste Vorstoß des Verteidigungsministeriums, Wehrmachtsoldaten, die sich beim Aufbau der Bundeswehr verdient gemacht haben, in den Traditionskanon der Bundeswehr mit aufzunehmen, zeigt aber auch, dass Erinnerungskultur auch heute immer neu verhandelt und diskutiert werden muss. Die umstrittene Ergänzung des Traditionserlasses löste eine große Debatte aus und wurde letztlich wieder zurückgezogen. Umso wichtiger ist es, dass sich die Bundeswehr gerade jetzt von den Anfängen des Volkstrauertages distanziert. Es muss vermehrt deutlich gemacht werden, dass die Bundeswehr sich ihrer Vergangenheit bewusst ist, diese aufarbeitet und sich ideologisch davon gelöst hat. In vielen Reden von Vertreter*innen der Bundeswehr sowie von Politiker*innen wird dies auch bereits umgesetzt, was erfreulich ist.
Auch die Orte, an denen das Gedenken durchgeführt wird, sollten überdacht werden. Eine Kranzniederlegung auf einer KZ-Gedenkstätte oder bei einem Ehrenmal für die deutschen Soldaten in den Weltkriegen halte ich dabei für wenig passend. Vielmehr sollten individuelle Gedenkorte gefunden werden, die dem tatsächlichen Anlass des Volkstrauertages gerecht werden. Demnach wäre es eine Möglichkeit, zusammen mit Bürger*innen Initiativen zu starten, zum Beispiel auch mit Schulen und Künstler*innen, um Gedenkorte neu zu erschaffen. Ich denke, dass man die Intention des Volkstrauertages, an die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft weltweit, gerade auch in aktuellen Konflikten, zu gedenken, stärker hervorheben muss. Da es allerdings in vielen Städten und Gemeinden dafür noch keine geeigneten Gedenkorte gibt, halte ich es für sinnvoll, diese neu zu gestalten, damit man sich von der Praxis löst, an „Ehrenmahlen“ für die Gefallenen aus den Weltkriegen zu gedenken.
Kriege fordern unfassbar viele Opfer und verursachen enormes Leid, weswegen ich es definitiv für wichtig halte, einen Volkstrauertag in abgewandelter Form zu haben, um auf diese Sinnlosigkeit von Krieg aufmerksam zu machen und den tatsächlichen Leidtragenden von Gewalt zu gedenken. Gerade in Zeiten, in denen ein Donald Trump wieder amerikanischer Präsident wird, ein Wladimir Putin Nachbarländer überfällt, im Nahen Osten die Konflikte aufs Neue eskalieren, AfD-Politiker wie Benjamin Nolte seine Posts mit „Bereit für die Schlacht“ beendet und die „Junge Alternative“ am Volkstrauertag in einem Post glorifizierend den „tapferen Helden unseres Volkes“ gedenkt anstatt allen Opfern von Krieg und Gewalt, braucht es diesen Gedenktag in reflektierter Form mit Gegenwartsbezug, um vor den Ausmaßen eines jeden Krieges zu warnen.