Jonah und Nils stehen vor dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Husum-Schwesing

Hallo! Wir sind Jonah und Nils und absolvieren momentan unser FSJ Kultur bei der Stiftung Nordfriesland. Unser Aufgabenbereich umfasst auch die KZ-Gedenkstätte Husum-Schwesing. Auf dieser Seite geben wir monatlich Einblick in die Arbeit auf einer KZ-Gedenkstätte mit der Hoffnung, andere Jugendliche für diese Arbeit begeistern zu können und die Wichtigkeit dieser Aufgabe hervorzuheben.

In diesem Monat möchten wir auf die Rolle von uns FSJler*innen auf der Gedenkstätte eingehen. Wenn man sich mit dem Thema auseinandersetzt, dann stellt sich auch die Frage nach der Legitimität dieser Blogreihe: ist es berechtigt, dass wir diese Artikel schreiben und die Gedenkstättenarbeit aus unserer Sicht zu schildern?

Nils und Jonah

Nils

Am 27. Januar 2023 eröffnete im Kreishaus des Kreises Nordfriesland die bundesweite Ausstellung „Volk Gesundheit Staat“, welche über die Rolle von Gesundheitsämtern im Nationalsozialismus aufklärt. Sie wurde um eine regionale Ergänzung erweitert. Diese nimmt die Gesundheitsämter Husum und Eiderstedt unter die Lupe und beleuchtet auch die Schicksale von Menschen, die von Zwangssterilisation betroffen waren. Die lokale Ergänzung wurde von Dr. Janine Doerry erarbeitet. Die bundesweite Ausstellung wurde anlässlich des Gedenktages an die Opfer des Nationalsozialismus eröffnet. Die Veranstaltung begann mit einer Andacht des Husumer Pastors Friedemann Magaard. Er ging auf die Gräueltaten des NS-Regimes ein und schlug einen Bogen zu dem Messerangriff bei Brokstedt, bei dem zwei Jugendliche getötet wurden. Anschließend hielt der Landrat Florian Lorenzen eine Rede über die Wichtigkeit dieser Ausstellung und die Bedeutung dieser für den Kreis Nordfriesland. Danach stellten Charlotte Haugg und Philipp Cordts das zum Ende geführte Projekt „Mehr als Vergangenheit“ vor und zogen eine abschließende Bilanz. Am Ende hielt Frau Prof. Dr. Sabine Schleiermacher einen Vortrag zu Hintergründen der Ausstellung. Frau Schleiermacher leitet das Forschungsprojekt, welches für die Ausstellungsergebnisse verantwortlich ist. Die Veranstaltung wurde von zahlreichen musikalischen Beiträgen zwischen den Redebeiträgen begleitet. Anschließend hatten die Besucherinnen und Besucher die Möglichkeit, sich die Ausstellung anzusehen und mit den Hauptverantwortlichen ins Gespräch zu kommen. Ich habe bei dem Aufbau der Ausstellung am Vortag mitgeholfen. Bei der Veranstaltung selbst habe ich im Anschluss an die Redebeiträge einen Gedenkstättenführer verkauft. Ich hatte sozusagen nur eine kleine Rolle inne. Diese Aufgaben sind sehr typisch in dem FSJ. Man übernimmt kleinere organisatorische Tätigkeiten und hilft bei der Durchführung von Projekten und Veranstaltungen. Man gewinnt aber auch große Einblicke in die Organisation einer solchen Veranstaltung. Für mich persönlich war die Ausstellungseröffnung sehr wichtig. Das FSJ-Kultur dient auch zur kulturellen Bildung von Freiwilligen. Somit setzt man sich mit vielen verschiedenen Themen auseinander, mit denen man sich im normalen Alltagsleben nicht auseinandergesetzt hätte, wie beispielsweise der Rolle der Gesundheitsämter im NS-Staat. Die Eröffnung empfand ich als sehr intensiv und berührend. Die Andacht des Pastors empfand ich als sehr gelungen und angemessen.

Jonah

Vom 24. bis zum 27. Januar nahm ich gemeinsam mit etwa sechzig weiteren Jugendlichen an einer Jugendbegegnung vom Deutschen Bundestag in Berlin teil, welche „aufgrund ihrer sexuellen Orientierung verfolgte Opfer des Nationalsozialismus“ thematisierte.
Dabei hatten wir die besondere Möglichkeit, an der Gedenkstunde des Deutschen Bundestages aus Anlass des Tags des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus teilzunehmen, bei der in diesem Jahr erstmals queere Menschen im Mittelpunkt standen.
Nach der Begrüßungsansprache der Bundestagspräsidentin Frau Bas sprach Rozette Kats, die als Kind von ihren jüdischen Eltern zu Pflegeeltern gegeben wurde und so den Holocaust überlebte. Ihre Eltern und ihr kleiner Bruder wurden durch die Nationalsozialisten getötet. Rozette Kats berichtet von ihren Erfahrungen mit Verschweigen und Selbstverleugnung und zieht Parallelen zwischen diesen eigenen Erfahrungen und Erfahrungen queerer Menschen: „Was ich als kleines Kind lernen musste, das mussten jedoch auch viele Angehörige sexueller und geschlechtlicher Minderheiten vor – und leider auch nach – 1945 lernen: Denn es macht Menschen krank, wenn sie sich verstecken und verleugnen müssen.“ Rozette Kats findet in ihrer Rede deutliche und eindringliche Worte: „Wenn Menschen in Kategorien von mehr oder weniger wertvoll eingeteilt werden, wenn bestimmte Opfergruppen gar als weniger wertvoll als andere angesehen werden, dann bedeutet das am Ende nur eins: dass die nationalsozialistische Theorie weiterlebt und leider bis heute weiterwirkt, wenn wir Gewalttaten gegen queere Menschen noch immer erleben müssen.“
Im Anschluss an Rozette Kats lasen die Schauspieler*Innen Maren Kroymann und Jannik Schümann Texte vor, welche sich detailliert mit den Biographien von zwei Menschen auseinandersetzen, welche im Nationalsozialismus als Homosexuelle verfolgt, in Konzentrationslager interniert und zum Teil durch die Nationalsozialisten ermordet wurden.
Zuletzt sprach Klaus Schirdewahn, welcher aufgrund seiner Homosexualität in der Bundesrepublik Deutschland strafrechtlich verfolgt wurde. Als 17-jähriger wurde er nach §175 verurteilt und erst 2017 vollständig rehabilitiert. Er berichtet: „Damals [1969] begann sich unsere Gesellschaft langsam mit den zwischen 1933 und 1945 begangenen Verbrechen zu beschäftigen. Aber wir [queere Personen] waren mit unserer Lebensweise noch nicht willkommen. Zu sehr wirkte das Gift des nationalsozialistischen Menschen- und Familienbildes in Geist und Köpfen nach.“ Und so spricht auch Klaus Schirdewahn von Jahrzenten der Selbstverleugnung und des Versteckens. Dabei stellt er heraus, dass es sich um eine strukturelle und noch immer existente Problematik handelt: „Ich weiß, dass viele Menschen aus der queeren Community ähnliche Erfahrungen wie ich gemacht haben, dass viele Menschen wie ich Jahrzehnte lang versteckt gelebt haben und versteckt weiterhin leben.“
Die Gedenkstunde für das Gedenken queerer Opfer des Nationalsozialismus ist in mehrfacher Weise relevant. Klaus Schirdewahn betont: „Die Gedenkstunde ist ein Zeichen der Anerkennung und ein Signal in die Gesellschaft hinein. Denn sie drückt Trauer über das Leiden aus, das queeren Menschen im Nationalsozialismus angetan wurde. Sie macht aber auch das Unrecht, das 1945 eben nicht endete, sichtbar und gibt den Betroffenen deswegen etwas von ihrer Würde zurück.“
Darüber hinaus ist ein bedeutender Schritt weg von einer cis-hetero-normativen Betrachtung der Geschichte, welche Identitäten außerhalb der gesellschaftlichen Norm und damit ganze Opfergruppen und ihr Leiden verschweigt. Es ist Teil der Sichtbarmachung, der Betonung von vielfältigen Sexualitäten und Geschlechtsidentitäten und ihrer Beständigkeit in der Geschichte bis in die Gegenwart. So leistet die Gedenkstunde einen Beitrag zur Verbesserung der Lebenssituation queerer Menschen der heutigen Zeit, der noch immer dringend notwendig ist.