Klassenfoto mit Mirjam Cohen (Pfeil), Sexta der TSS Husum, 1934

Mirjam Cohen (1923-1943) wird am 23. Mai 1923 als einzige Tochter des Rabbiners Dr. phil. Benjamin Cohen (*11. April 1895) und seiner Ehefrau Bertha Cohen-Malina (*2. März 1895), in Berlin geboren. Nach kürzeren beruflichen Aufenthalten des Vaters in Schönlanke – dem heutigen Trczianka in Polen – und Altona lässt sich die Familie 1928 in Friedrichstadt nieder, wo Dr. Cohen das Amt des Rabbiners übernimmt.

Aufwachsen in der „Stadt der Toleranz“

Die Familie wohnt im Haus Westermarktstraße 24, gleich neben der Synagoge. In Friedrichstadt existiert bereits seit dem 17. Jahrhundert eine jüdische Gemeinde, deren Mitglieder Tür an Tür mit ihren christlichen Nachbarn leben. Obgleich in Friedrichstadt verschiedene christliche Konfessionen, wie Remonstranten, Mennoniten und Quäker ansässig waren, stellte die jüdische Gemeinde zeitweilig die zweitgrößte Religionsgemeinschaft der Stadt dar. Zum Zeitpunkt von Mirjams Einschulung in die Volksschule 1929 leben noch einige jüdische Familien in Friedrichstadt, ein Klima religiöser Tolerenz besteht noch immer. Man darf also annehmen, dass Mirjam hier eine unbeschwerte Grundschulzeit verlebt, was angesichts des grassierenden Antisemitismus und der deutschlandweiten Wahlerfolge der NSDAP in der Spätphase der Weimarer Republik überrascht. Einige Jahre später wird die über 250 Jahre alte jüdische Gemeinde in Friedrichstadt für immer ausgelöscht.

Schulzeit in Husum und Flucht

Im Jahr von Adolf Hitlers Machtübernahme wechselt Mirjam an die weiterführende Mädchenschule, die Theodor-Storm-Schule in Husum. Sie ist dort die einzige Jüdin und entwickelt sich zu einer guten Schülerin. In ihrer Klasse findet sie ein paar gute Freundinnen. Die zunehmende Entrechtung der Juden durch die Nationalsozialisten sind mit Sicherheit ausschlaggebend dafür, warum Rabbiner Cohen im Jahr 1935 Reisepässe für sich und seine Familie beantragt. 1937 verlässt die Familie Friedrichstadt und zieht nach Hamburg, da einerseits die meisten anderen Juden Friedrichstadt bereits verlassen haben und andererseits die Mindestanzahl an Gemeindemitgliedern nicht mehr gegeben ist. Infolge der Novemberpogrome 1938 wird Mirjams Vater in die KZ’s Fuhlsbüttel und Sachsenhausen verschleppt; nach seiner Freilassung flieht die Familie in die Niederlande und wohnt zuletzt in Amsterdam.

Verhaftung, Deportation und Tod

Nach der Besetzung der Niederlande durch die deutsche Wehrmacht geraten Mirjam, Bertha und Benjamin Cohen, so wie etwa sechs Millionen europäische Juden, ins Fadenkreuz des nationalsozialistischen Vernichtungswahns. 1943 wird die Familie ins „Polizeiliche Judendurchgangslager“ im niederländischen Westerbork verschleppt und von dort ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Bereits wenige Tage nach ihrer Ankunft werden Mirjam und ihre Mutter Bertha am 19. November 1943 vergast. Ihr Vater Benjamin wird dort am 31. März 1944 ermordet.

Erinnerung

Lange Zeit gerät die Lebensgeschichte von Mirjam Cohen in Vergessenheit. In Zeitzeugenberichten aus dem Jahr 2001 beschreiben ehemalige Freundinnen und Freunde sie als hilfsbereites, intelligentes und hübsches Mädchen mit dunklen, krausen Haaren, die sie mal zu geflochtenen Zöpfen, mal offen trug. In der Folgezeit werden Stolpersteine in Gedenken an Mirjam Cohen vor ihrem Wohnhaus in Friedrichstadt sowie vor dem ehemaligen Schulgebäude der Theodor-Storm-Schule Husum verlegt. 2010 inszeniert die Theatergruppe Spielraum der Theodor-Storm-Schule das Theaterstück „Mirjam Cohen – dem Vergessen entreißen, der Gegenwart zurückgeben“, das überregionale Resonanz erfährt. Eine Stele in Form eines Schattenrisses von Mirjam, dargestellt durch die Hauptdarstellerin des Theaterstücks, ziert seitdem den Pausenhof des aktuellen Schulgebäudes. Auch der Stolperstein befindet sich ab 2016 im Schulgebäude in der Ludwig-Nissen-Straße, da das ehemalige Schulgebäude abgerissen werden musste. Im November 2023 werden schließlich der alte Stolperstein sowie eine Kopie desselben am historischen und aktuellen Schulstandorten verlegt. Für beide Standorte erarbeiten die Schülerinnen und Schüler des Wirtschaft-Politik-Profils des 12. Jahrgangs der Theodor-Storm-Schule zwei Gedenkstelen in Kooperation mit der Stadt Husum. (Verfasser: Nils Hobe)

Quellen und Literatur:

– Akte zur Familie Cohen, Stadtarchiv Friedrichstadt

– Bernd Philipsen: „…ein selbständiger Denker, erfahren in Talmud und Halacha. Dr. Benjamin Cohen, Bezirksrabbiner von Friedrichstadt/Flensburg“, in: Gerhard Paul, Miriam Gillis-Carlebach (Hgg.): Menora und Hakenkreuz. Zur Geschichte der Juden in und aus Schleswig-Holstein, Lübeck und Altona (1918-1998). Neumünster 1998, S. 107-119.

– Mitteilungsblatt der Gesellschaft für Friedrichstädter Stadtgeschichte, Nr. 62 (2001), S. 77-104.

– Fiete Pingel, Thomas Steensen (Hgg.): Jüdisches Leben und Verfolgung in den Frieslanden. Bredstedt 2001.

– Bettina Görken: „Mirjam Cohen und Carl Cohn: Judenverfolgung im Nationalsozialismus“, in: Schauplatz Husum. Ein Geschichtsalbum in Lebensbildern 1450-1950. Hg. v. Matthias Bauer. Husum 2019, S. 113-116.

Foto:

Klassenfoto mit Mirjam Cohen (roter Pfeil), Sexta der Theodor-Storm-Schule Husum, 1934, Stadtarchiv Friedrichstadt