Gesundheitsamt und
Zwangssterilisation

Zur lokalen Ergänzung

Das Staatliche Gesundheitsamt der Kreise Husum und Eiderstedt war in sämtlichen Aufgabenfeldern tätig, die in der Ausstellung „Volk, Gesundheit, Staat“ dargestellt werden. Die lokale Ergänzung nimmt die Ärzte und Ärztinnen des Staatlichen Gesundheitsamtes in den Blick. Außerdem werden Menschen vorgestellt, die im Zuge der nationalsozialistischen Erb- und Rassenpolitik zwangsweise sterilisiert wurden oder werden sollten.
Das Staatliche Gesundheitsamt der Kreise Husum und Eiderstedt war während des Nationalsozialismus in der Asmussenstraße 11 in Husum ansässig. Das Foto des bis heute erhaltenen Gebäudes entstand nach dem Zweiten Weltkrieg.
Das Staatliche Gesundheitsamt der Kreise Husum und Eiderstedt war während des Nationalsozialismus in der Asmussenstraße 11 in Husum ansässig. Das Foto des bis heute erhaltenen Gebäudes entstand nach dem Zweiten Weltkrieg.

Der öffentliche Gesundheitsdienst in Nordfriesland

Im heutigen Kreis Nordfriesland gab es in der Zeit des Nationalsozialismus zwei Gesundheitsämter. Das Husumer Gesundheitsamt war für die Kreise Husum und Eiderstedt zuständig, zu denen der Süden und die Inseln Pellworm, Nordstrand und die Halligen gehörten. Es hatte eine Außenstelle in Tönning. 

Der Norden mit den dortigen Inseln zählte zum Kreis Südtondern. Sein Gesundheitsamt befand sich in Niebüll und hatte Außenstellen auf Sylt und Föhr. 

Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“

„Wer erbkrank ist, kann durch chirurgischen Eingriff unfruchtbar gemacht (sterilisiert) werden, wenn nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, daß seine Nachkommen an schweren körperlichen oder geistigen Erbschäden leiden.“
Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 1. Juli 1933, Paragraph 1

„Hat das Gericht die Unfruchtbarmachung endgültig beschlossen, so ist sie auch gegen den Willen des Unfruchtbarzumachenden durchzuführen.“ 
Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 1. Juli 1933, Paragraph 12

Im Zuge der „Erb- und Rassenpflege“ oder „Erbgesundheitspflege“ sollten als „minderwertig“ eingestufte Menschen daran gehindert werden, Kinder zu bekommen. Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ trat am 1. Januar 1934 in Kraft. Mittels des Gesetzes und medizinischer Gutachten wurden Menschen als „erbkrank“ bezeichnet und zwangsweise unfruchtbar gemacht. Das betraf etwa gleich viele Männer und Frauen. 

Zwangssterilisationen in den Kreisen Husum und Eiderstedt

In den beiden Kreisen Husum und Eiderstedt wurden von 1934 bis 1942 mindestens 125 Männer und Jungen zwangssterilisiert. Ihre Namen stehen auf einer Liste, die das Staatliche Gesundheitsamt im Sommer 1944 für das Wehrbezirkskommando Schleswig zusammenstellte. 

Die Anträge auf Unfruchtbarmachung stellten die Leiter der Gesundheitsämter an die eigens eingerichteten Erbgesundheitsgerichte. Für die Kreise Husum und Eiderstedt war das Gericht in Flensburg zuständig. Falls gegen den Beschluss des Flensburger Erbgesundheitsgerichts Beschwerde eingelegt wurde, entschied das Erbgesundheitsobergericht in Kiel über den Fall. Die Sterilisationen erfolgten in den städtischen Krankenhäusern von Bredstedt und Husum. In Bredstedt führte Dr. Godt den körperlichen Eingriff durch, in Husum waren es Dr. Spethmann und Dr. Stoppel.

In den beiden ersten Jahren wurden 61 Männer und Jungen zwangsweise unfruchtbar gemacht, weitere 48 in den nächsten drei Jahren. In den ersten Kriegsjahren sank die Zahl der Zwangssterilisierten in den einstelligen Bereich.

Anzahl der Zwangssterilisationen pro Jahr

In den Jahren 1934 und 1935 wurden 61 Männer und Jungen zwangsweise unfruchtbar gemacht, weitere 48 in den nächsten drei Jahren. In den ersten Kriegsjahren sank die Zahl der Zwangssterilisierten in den einstelligen Bereich.
[Kreisarchiv Nordfriesland]

In ihren Beschlüssen gaben die Erbgesundheitsgerichte die Gründe für die Zwangssterilisation an. Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ legte fest, aufgrund welcher Erkrankungen und Einschränkungen Menschen als „erbkrank“ eingestuft und deswegen sterilisiert werden konnten. Außerdem konnte unfruchtbar gemacht werden, „wer an schwerem Alkoholismus leidet“.

Begründungen für die Zwangssterilisation

In ihren Beschlüssen gaben die Erbgesundheitsgerichte die Gründe für die Zwangssterilisation an. Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ legte fest, aufgrund welcher Erkrankungen und Einschränkungen Menschen als „erbkrank“ eingestuft und deswegen sterilisiert werden konnten. Außerdem konnte unfruchtbar gemacht werden, „wer an schwerem Alkoholismus leidet“.
[Kreisarchiv Nordfriesland]

Aus der Liste des Staatlichen Gesundheitsamtes geht auch das Alter der Zwangssterilisierten hervor: Der Jüngste dort aufgeführte Junge war erst acht Jahre alt, als er unfruchtbar gemacht wurde, der älteste Mann befand sich in seinem 56. Lebensjahr.

Alter zum Zeitpunkt der Zwangssterilisation

Aus der Liste des Staatlichen Gesundheitsamtes geht auch das Alter der Zwangs- sterilisierten hervor: Der Jüngste dort aufgeführte Junge war erst acht Jahre alt, als er unfruchtbar gemacht wurde, der älteste Mann befand sich in seinem 56. Lebensjahr.
[Kreisarchiv Nordfriesland]

Wohnorte der zwangssterilisierten Männer und Jungen

Die Markierungen zeigen die Orte, in denen die insgesamt 125 zwangssterilisierten Männer und Jungen aus den damaligen Kreisen Husum und Eiderstedt lebten.

Das Staatliche Gesundheitsamt
Ärzte und Ärztinnen

 

Das Staatliche Gesundheitsamt der Kreise Husum und Eiderstedt ging aus dem öffentlichen Gesundheitsdienst der Weimarer Republik hervor. Sein erster Leiter war der schon seit 1918 amtierende Kreisarzt und Medizinalrat Eduard Speckmann. Er wurde zum 1. Juli 1935 an das Staatliche Gesundheitsamt in Swinemünde versetzt. Im August 1935 wurde der Amtsarzt Wilhelm Hommelsheim zu seinem Nachfolger ernannt.

Zusätzlich zur Stelle des Amtsarztes gab es eine Hilfsarztstelle. Diese Stelle war ab 1936 nacheinander mit Otto Schünemann, Ortrun Dollereder und Margarethe Lensch besetzt. Hommelsheim förderte vor allem Schünemann, der während seiner Tätigkeit in Husum seine Amtsarztprüfung vorbereiten und ablegen konnte.

Nach der deutschen Niederlage leitete Hommelsheim das Staatliche Gesundheitsamt Husum ohne Unterbrechung weiter. Im Juli 1945 stellte er eine Personalliste des Gesundheitsamtes zusammen. Zum Personal zählten damals fünf Beamte und dreizehn Angestellte. Die Medizinalräte Eduard Speckmann und Otto Schünemann waren zwischenzeitlich in anderen Gesundheitsämtern tätig gewesen, meist in Gebieten, die das nationalsozialistische Deutschland annektiert oder besetzt hatte. Aufgrund des deutschen Rückzugs wurden sie 1945 nach Husum zurückversetzt. Das galt auch für fünf weitere Angestellte, die wie Schünemann und Speckmann als „rückgeführt“ bezeichnet wurden.

Die Personalliste des Gesundheitsamtes stellte Hommelsheim für den Regierungspräsidenten in Schleswig zusammen. Im Juli 1945 war dieser der britischen Militärverwaltung untergeordnet. [Landesarchiv Schleswig-Holstein | Abteilung 320.9 | Nr. 1841]

Die Personalliste des Gesundheitsamtes stellte Hommelsheim für den Regierungspräsidenten in Schleswig zusammen. Im Juli 1945 war dieser der britischen Militärverwaltung untergeordnet.
[Landesarchiv Schleswig-Holstein | Abteilung 320.9 | Nr. 1841]

Dr. Eduard (Dietrich) Speckmann

Eduard Speckmann leitete das öffentlichen Gesundheitswesen der Kreise Husum und Eiderstedt von März 1918 bis Juni 1935. 1945 kehrte er für kurze Zeit nach Husum zurück.

Eduard Speckmann wurde am 14. August 1875 in Hermannsburg geboren. Ab März 1918 war er als Kreisarzt und Medizinalrat für das öffentliche Gesundheitswesen der Kreise Husum und Eiderstedt zuständig. Zum 1. Juli 1935 wurde Speckmann nach Swinemünde versetzt. Dort leitete er das Staatliche Gesundheitsamt des Landkreises Usedom-Wollin.

Anfang Mai 1945 flüchtete Speckmann vor den sowjetischen Truppen nach Schleswig-Holstein. Er meldete sich beim Gesundheitsamt Husum zurück und wurde kurzzeitig in der Flüchtlingshilfe eingesetzt. Anschließend zog er nach Hamburg-Rahlstedt und arbeitete bis 1949 als Angestellter für das Gesundheitsamt Hamburg-Wandsbek. 

Eduard Speckmann war evangelischer Konfession, verheiratet und hatte drei Kinder. Er starb am 5. April 1951 in Hamburg.

Dr. Wilhelm Hommelsheim

Wilhelm Hommelsheim war von August 1935 bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand 1954 Leiter des Staatlichen Gesundheitsamtes. 

Wilhelm Hommelsheim wurde am 14. Juni 1889 in Dürwiß geboren. Er hatte am Ersten Weltkrieg teilgenommen und war sowohl Mitglied der NSDAP als auch der SA. Nach Husum kam Hommelsheim im August 1935 als Leiter des Staatlichen Gesundheitsamtes. Zusätzlich zu seinen Aufgaben als Amtsarzt der Kreise Husum und Eiderstedt übte er zahlreiche Nebentätigkeiten als Arzt und Gutachter aus. 

Nach dem Zweiten Weltkrieg leitete Hommelsheim das Staatliche Gesundheitsamt des Kreises Husum. Der Kreis Eiderstedt bekam ein eigenes Gesundheitsamt. Hommelsheim trat 1954 in den Ruhestand und zog anschließend nach Bad Godesberg. 

Wilhelm Hommelsheim war katholischer Konfession, verheiratet und hatte drei Kinder. Er starb am 10. Februar 1964 in Bonn.

Dr. Margarethe Lensch, geborene Carstensen

Margarethe Lensch war von Oktober 1942 bis November 1946 am Staatlichen Gesundheitsamt angestellt. 

Margarethe Carstensen wurde am 12. März 1912 auf Pellworm geboren. Die promovierte Ärztin war evangelischer Konfession und heiratete im Dezember 1940. Ihr Mann starb jedoch im Kriegseinsatz, noch bevor sie im Dezember 1941 eine gemeinsame Tochter zur Welt brachte.

Im Oktober 1942 nahm Margarethe Lensch, geborene Carstensen, eine Anstellung als Hilfsärztin am Staatlichen Gesundheitsamt in Husum an. Von Oktober 1940 bis August 1941  hatte sie bereits am Staatlichen Gesundheitsamt des Kreises Südtondern in Niebüll gearbeitet. Ende November 1946 trat sie aus dem öffentlichen Gesundheitsdienst aus, um sich weiterzubilden. 

Margarethe Lensch wurde Kinderfachärztin, heiratete erneut und zog im Herbst 1951 nach Kaltenkirchen. 

Margarethe Thies, geborene Carstensen und verwitwete Lensch, starb am 25. Juli 1984 in Elmshorn.

Ortrun Dollereder

Ortrun Dollereder war von Januar bis September 1941 für das Staatliche Gesundheitsamt in Husum tätig. 

Ortrun Dollereder wurde am 15. August 1913 in Wilischthal/Sachsen geboren. Sie studierte Medizin und absolvierte 1938 und 1939 ihr praktisches Jahr. Anschließend war sie als Assistenzärztin in Westpreußen und als Vertretung ihres Vaters in dessen Arztpraxis in Westfalen tätig.

Am 1. Januar 1941 trat Ortrun Dollereder ihren Dienst als Hilfsärztin am Staatlichen Gesundheitsamt der Kreise Husum und Eiderstedt an. Da sie sich überlastet fühlte, wollte sie ihre Stelle bald wieder aufgeben. Hommelsheim überzeugte sie zunächst, länger im Amt zu bleiben, bestätigte dann aber, dass sie der Tätigkeit im öffentlichen Gesundheitsdienst nicht gewachsen war. Ihre Dienstzeit endete am 1. Oktober 1941.

Ortrun Dollereder starb am 27. September 1980 in Bad Pyrmont. 

Dr. Otto Schünemann

Über Otto Schünemann, einen aufstrebenden Hilfsarzt und überzeugten Nationalsozialisten, gibt es ein eigenes Ergänzungskapitel. 

Dr. Otto Schünemann
Karriere im Gesundheitsamt

Otto Schünemann kam am 17. Oktober 1909 in Siegen/Westfalen zur Welt. Er studierte Medizin, legte 1933 in Hamburg das Staatsexamen ab und erhielt dort 1935 seine Approbation als Arzt.
Anfang September 1931 war Schünemann in die NSDAP eingetreten. Darüber hinaus gehörte er sowohl der SA als auch dem Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebund an.
Schünemann schlug aus Überzeugung und mit Erfolg eine Laufbahn im öffentlichen Gesundheitsdienst ein. Im August 1936 begann er als Hilfsarzt beim Staatlichen Gesundheitsamt Husum zu arbeiten. Dessen Leiter Hommelsheim förderte seinen jungen Kollegen. Aus seinen Beurteilungen geht hervor, dass Schünemann sich besonders für erb- und rassenbiologische Fragen interessierte.
Mit dem Ziel, die Prüfung zum Amtsarzt abzulegen, bildete er sich 1937 und 1939 durch Lehrgänge und 1938 als Volontär in der Krankenanstalt Hamburg-Langenhorn weiter.
Neben seiner Tätigkeit in Husum musste er an militärischen Übungen teilnehmen. Nach seiner Prüfung im Mai 1939 arbeitete er als stellvertretender Amtsarzt weiterhin am Husumer Gesundheitsamt.
Schünemann hatte im März 1936 Anneliese Jürgs geheiratet. Das Paar hatte Zwillinge – einen Sohn und eine Tochter –, die im Juni 1938 in Husum zur Welt gekommen waren.

 

Als Schünemann seinen Dienst in Husum antrat, erhielt das Staatliche Gesundheitsamt ein Schreiben der NSDAP. Das Amt für Volksgesundheit der Kreise Husum, Eiderstedt und Südtondern war eine Einrichtung der Partei. Sein Leiter erkundigte sich nach Schünemanns genauer Anschrift. [Kreisarchiv Nordfriesland]

Als Schünemann seinen Dienst in Husum antrat, erhielt das Staatliche Gesundheitsamt ein Schreiben der NSDAP. Das Amt für Volksgesundheit der Kreise Husum, Eiderstedt und Südtondern war eine Einrichtung der Partei.
Sein Leiter erkundigte sich nach Schünemanns genauer Anschrift.
[Kreisarchiv Nordfriesland]

Am 5. Januar 1939 verfasste Hommelsheim für seinen Dienstherrn, den Regierungspräsidenten in Schleswig, einen Bericht über Schünemann. In seiner Beurteilung hob er sowohl Schünemanns ärztliche und menschliche Qualitäten als auch dessen Mitgliedschaft in der NSDAP hervor. Weil es sich um den Durchschlag für die Husumer Personalakte handelt, trägt das Dokument weder Stempel noch Unterschrift. [Kreisarchiv Nordfriesland]

Am 5. Januar 1939 verfasste Hommelsheim für seinen Dienstherrn, den Regierungspräsidenten in Schleswig, einen Bericht über Schünemann. In seiner Beurteilung hob er sowohl Schünemanns ärztliche und menschliche Qualitäten als auch dessen Mitgliedschaft in der NSDAP hervor. Weil es sich um den Durchschlag für die Husumer Personalakte handelt, trägt das Dokument weder Stempel noch Unterschrift.
[Kreisarchiv Nordfriesland]

Dr. Otto Schünemann
Kriegseinsatz als Amtsarzt

Während des Zweiten Weltkrieges war Schünemann an der deutschen Besatzungsherrschaft in Polen beteiligt. Als Amtsarzt baute er den öffentlichen Gesundheitsdienst im annektierten „Reichsgau Wartheland“ mit auf. Ende Januar 1940 wurde er zunächst nach Litzmannstadt (Łódź) abgeordnet.
Ab August 1940 leitete er das Staatliche Gesundheitsamt Kempen (Kępno), ab Oktober 1941 das Staatliche Gesundheitsamt Wreschen (Września). Seine Familie folgte Schünemann aus Husum in den sogenannten Warthegau.

© https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Wartheland.png

Besatzungspolitik und Gesundheitsamt

Die Mehrheit der Menschen, die im Herbst 1939 im annektierten „Reichsgau Wartheland“ lebten, war polnisch, hinzu kamen eine jüdische und eine deutsche Minderheit. Die Nationalsozialisten wollten das Gebiet „germanisieren“: Die polnische Führungsschicht
wurde ermordet, große Teile der polnischen Bevölkerung vertrieben oder zur Zwangsarbeit verschleppt. Jüdinnen und Juden wurden in Ghettos gepfercht, deportiert und ermordet. Die deutsche Minderheit erhielt zahlreiche Privilegien und sollte zahlenmäßig durch Geburtenförderung und durch Ansiedlung von  Deutschen aus dem Baltikum gestärkt werden.
Der öffentliche Gesundheitsdienst beteiligte sich aktiv an dieser rassistischen, antisemitischen und völkischen Politik. Polnischen und jüdischen Menschen wurden medizinische Heilbehandlungen verweigert. Die staatliche Gesundheitsfürsorge kam in der Regel nur der deutschen Bevölkerung zu Gute. Mitarbeiter der Gesundheitsämter forderten jüdische Ghettos, richteten sie mit ein und drängten später darauf, sie „aufzulösen“.
Amtsärzte untersuchten Polinnen und Polen, die zur Zwangsarbeit ins Deutsche Reich gebracht werden sollten, im Zuge der Seuchenbekämpfung auf übertragbare Krankheiten wie Fleckfieber oder Tuberkulose.

Berufskrankheit Lungentuberkulose

Schünemann erkrankte in Wreschen an Lungentuberkulose. In der Folge brach seine Karriere noch vor Ende des Zweiten Weltkrieges ab. Als die sowjetische Armee den sogenannten Warthegau im Januar 1945 eroberte, wurde er nach Husum zurückversetzt. Seine Tuberkulose wurde als Berufskrankheit anerkannt. Das Gesundheitsamt durfte er aufgrund von Ansteckungsgefahr nicht betreten. Im August 1945 zog Schünemann mit seiner Familie nach Weidenau bei Siegen/Westfalen.
Nach einem längeren Kuraufenthalt starb er am 20. August 1946 in Siegen.
Am 25. Januar 1940 teilte der Regierungspräsident in Schleswig dem Staatlichen Gesundheitsamt in Husum mit, dass Schünemann mit sofortiger Wirkung an das Gesundheitsamt in Litzmannstadt (Łódź) abgeordnet worden war. [Kreisarchiv Nordfriesland]

Am 25. Januar 1940 teilte der Regierungspräsident in Schleswig dem Staatlichen  Gesundheitsamt in Husum mit, dass Schünemann mit sofortiger Wirkung an das Gesundheitsamt in Litzmannstadt (Łódź) abgeordnet worden war.
[Kreisarchiv Nordfriesland]

Das Staatliche Gesundheitsamt Husum berichtete dem Regierungspräsidenten in Schleswig am 29. Januar 1940, wann Schünemann die Verfügung über seine Abordnung nach Litzmannstadt erhalten hatte und wann er abgereist war. [Kreisarchiv Nordfriesland]

Das Staatliche Gesundheitsamt Husum berichtete dem Regierungspräsidenten in Schleswig am 29. Januar 1940, wann Schünemann die Verfügung über seine Abordnung nach Litzmannstadt erhalten hatte und wann er abgereist war.
[Kreisarchiv Nordfriesland]

Im Oktober 1941 wurde Schünemann zum Amtsarzt am Staatlichen Gesundheitsamt Wreschen im annektierten „Reichsgau Wartheland“ ernannt. Infolge seiner Versetzung konnte die Planstelle des stellvertretenden Amtsarztes in Husum neu vergeben werden. [Landesarchiv Schleswig-Holstein | Abteilung 611 | Nummer 2047]

Im Oktober 1941 wurde Schünemann zum Amtsarzt am Staatlichen Gesundheitsamt Wreschen im annektierten „Reichsgau Wartheland“ ernannt. Infolge seiner Versetzung konnte die Planstelle des stellvertretenden Amtsarztes in Husum neu vergeben werden.
[Landesarchiv Schleswig-Holstein | Abteilung 611 | Nummer 2047]

Hommelsheim bescheinigte seinem Kollegen Schünemann nach dessen Rückkehr, dass er an Lungentuberkulose litt. Die Erkrankung galt als Dienstbeschädigung und Berufskrankheit. [Landesarchiv Schleswig-Holstein | Abteilung 611 | Nummer 2047]

Hommelsheim bescheinigte seinem Kollegen Schünemann nach dessen Rückkehr, dass er an Lungentuberkulose litt. Die Erkrankung galt als Dienstbeschädigung und Berufskrankheit.
[Landesarchiv Schleswig-Holstein | Abteilung 611 | Nummer 2047]

Zwangssterilisation
Peter Martin P.

Peter Martin P. kam am 11. März 1905 zu Osterhever zur Welt. Im Alter von 15 Jahren überstand er die Diphterie, eine lebensgefährliche Erkrankung. Nach dem Besuch der Volksschule arbeitete er in der Landwirtschaft. Er war unter anderem als Hausknecht in einem Hotel im damaligen Sankt Peter tätig und bei einem Fuhrmann in Garding angestellt. In Garding lebte er mit seiner Mutter, einer Kriegerwitwe, in der Johannisstraße 21.

Zwei Schreiben des Bürgermeisters

Ende Februar 1936 machte der Gardinger Bürgermeister Runge das Staatliche Gesundheitsamt der Kreise Husum und Eiderstedt per Brief auf Peter Martin P. aufmerksam. Daraufhin musste Peter Martin P. am 11. März 1936 um 9 Uhr morgens beim Staatlichen Gesundheitsamt Husum erscheinen. Dort wurde er von Amtsarzt Hommelsheim untersucht und musste in einem Intelligenztest zahlreiche Fragen beantworten. Außerdem wurde ihm vorgehalten, dass zwei seiner Geschwister von Geburt an blind gewesen seien.
Hommelsheim brachte Peter Martin P. dazu, wegen „angeborenen Schwachsinns“ seine eigene Unfruchtbarmachung zu beantragen. Der Antrag ging an das Erbgesundheitsgericht in Flensburg. Das Gericht bat daraufhin die Ortspolizeibehörde von Garding um Auskunft. Dabei handelte es sich wiederum um Bürgermeister Runge. Er legte am 28. März 1936 ausführlich dar, warum Peter Martin P. seiner Meinung nach sterilisiert werden sollte. Das Erbgesundheitsgericht Flensburg beschloss am 7. April 1936, dass Peter Martin P. unfruchtbar zu machen sei. Die Sterilisation wurde am 6. Juni 1936 von Dr. Spethmann in Husum durchgeführt.

Der Gardinger Bürgermeister Runge wandte sich Ende Februar 1936 in Bezug auf Peter Martin P. an das Staatliche Gesundheitsamt der Kreise Husum und Eiderstedt. [Kreisarchiv Nordfriesland]

Der Gardinger Bürgermeister Runge wandte sich Ende Februar 1936 in Bezug auf Peter Martin P. an das Staatliche Gesundheitsamt der Kreise Husum und Eiderstedt.
[Kreisarchiv Nordfriesland]

Eine amtsärztliche Bescheinigung

Nach damaligem Recht durften unfruchtbar gemachte Menschen nur mit anderen Sterilisierten eine Ehe schließen. Als Peter Martin P. und die ebenfalls zwangssterilisierte Else M. aus Tönning heiraten wollten, brauchten sie eine amtsärztliche Bescheinigung über ihre Unfruchtbarmachung.
Im März 1938 stellte das Gesundheitsamt der Kreise Husum und Eiderstedt ihnen diese Bescheinigung aus.
Peter Martin P. und Else M. heirateten am 27. Mai 1939 und lebten anschließend in der Twiete 3 in Tönning. Infolge der Zwangssterilisation wurde Peter Martin P. nicht zum Kriegsdienst herangezogen.
Peter Martin P. starb am 3. Mai 1969. Seine Witwe Else wohnte bis zu ihrem Tod am 21. Dezember 1995 in der Twiete 3.

„Garding, den 28. März 1936. […]

P(…) ist mir persönlich bekannt. Er ist geistig beschränkt. Diese geistige Beschränktheit macht sich nur [dann] äußerlich bemerkbar, wenn man sich mit ihm unterhält und ihn beobachtet. Er ist körperlich groß und stark entwickelt.

Von Beruf ist er landwirtschaftlicher Arbeiter und seit Jahren bei dem Fuhrmann H. Borrmann in Garding beschäftigt.

P(…) pflegt die Pferde und arbeitet auch mit ihnen. Seinen Lebensunterhalt verdient er sich selbst. Ich bin auch überzeugt, daß er selbständig durchs Leben finden wird, denn er bemühte sich immer Arbeit zu finden, auch als diese nicht reichlich war. Vor seiner hiesigen Tätigkeit war er Hausknecht in einem Hotel in St. Peter. Er führt sich tadellos, ist solide und sparsam. Der Gedanke, daß seine Eigenschaften auf etwaige Kinder vererbt werden könnten, veranlaßt mich, die Prüfung der Unfruchtbarmachung anzuregen.

Ich sah ihn im vorigen Monat in den Abendstunden auf einem Ball des Boßelvereins seines Stadtbezirkes tanzen. Er benahm sich dort einwandfrei, sodaß Bekanntschaften mit Frauen, die er bei solcher Gelegenheit macht, immerhin zum Geschlechtsverkehr führen können. […]

Zwei Geschwister von P(…) sollen in der Irrenanstalt gewesen sein, eins davon soll ohne Augen geboren und eins dem Schwachsinn verfallen sein.

Der Bürgermeister als Ortspolizeibehörde

Runge“

 

Auf Nachfrage des Erbgesundheitsgerichts Flensburg verfasste der Gardinger Bürgermeister Runge am 28. März 1936 das hier zitierte Schreiben. Runge erläuterte ausführlich, warum Peter Martin P. seiner Meinung nach sterilisiert werden sollte.
[Kreisarchiv Nordfriesland]

Zwangssterilisation
Margarete D., geborene B.

Margarete B. wurde am 20. September 1912 in Drugehnen/Kreis Fischhausen in Ostpreußen gebohren. Als sie Wilfried D. kennenlernte, lebte sie mit ihren Eltern in Königsberg. Sie zogen zusammen nach Husum und heirateten im November 1937.

Im Frühjahr 1938 wurde Margarete D. schwanger und bekam psychische Probleme. Ihr Arzt überwies sie im Herbst 1938 in die Universitäts-Nervenklinik in Kiel.

In Kiel wurde Margarete D. von Prof. Dr. Hans Gerhard Creutzfeldt behandelt. Am 11. November 1938 stellte Creutzfeldt einen Antrag, sie aufgrund von Schizophrenie unfruchtbar zu machen.

Am 27. Juli 1938 teilte das Gesundheitsamt Königsberg dem Erbgesundheitsgericht Kiel mit, dass Margarete D. von der Polizei zwangsweise in ein Krankenhaus gebracht werden sollte, um sterilisiert zu werden. [ Kreisarchiv Nordfriesland ]

Nach ihrer Heirat wohnten Margarete und Wilfried D. in der Norderstraße 11. Auf dem Anfang des 20. Jahrhunderts aufgenommenen Foto handelt es sich um das vierte Gebäude von links.
[Kreisarchiv Nordfriesland]

Das Erbgesundheitsgericht Kiel beschloss am 15. Dezember 1938, dass Margarete D. zu sterilisieren sei. Wilfried D. war nicht damit einverstanden, dass seine Frau sterilisiert und dadurch auch die Schwangerschaft abgebrochen würde. Um Margarete D. dem Zugriff des Gesundheitsamtes Husum zu entziehen, brachte er sie zu ihren Eltern nach Königsberg. Anschließend legte er Beschwerde gegen den Beschluss des Erbgesundheitsgerichts ein.

Am 13. Februar 1939 brachte Margarete D. einen gesunden Sohn zur Welt. Nach der Geburt besserte sich auch ihr seelischer und geistiger Zustand. Trotzdem wies das Erbgesundheitsobergericht Kiel die Beschwerde von Wilfried D. am 3. Mai 1939 zurück. Am 17. August 1939 wurde Margarete D. in Königsberg zwangsweise sterilisiert.

Margarete und Wilfried D. wurden 1940 geschieden. Margarete heiratete erneut und lebte während des Zweiten Weltkriegs mit ihrem Sohn in Königsberg. Sie starb am 31. März 1946 in Ponarth bei Königsberg. Ihr Sohn wuchs zunächst bei den Eltern ihres zweiten Ehemanns auf. Ende der vierziger Jahre holte sein Vater ihn zu sich nach Norddeutschland.

Prof. Dr. Hans Gerhard Creutzfeldt

Hans Gerhard Creutzfeldt, ein von 1885 bis 1964 lebender Arzt und Hirnforscher, war einer der beiden Entdecker der seit 1922 so bezeichneten „Creutzfeldt-Jakobschen-Krankheit“. Creutzfeldt war sowohl förderndes Mitglied der SS als auch Anwärter des Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebundes.

1938 auf den Lehrstuhl für Neurologie und Psychiatrie der Kieler Universität berufen, leitete er auch die Universitäts-Nervenklinik. Creutzfeldt stimmte der Verlegung von Langzeitkranken aus der Kieler Klinik in Landeskrankenhäuser zu und nahm dabei in Kauf, dass sie Opfer der Euthanasiemorde wurden. Als Gutachter in Erbgesundheits- und Militärgerichtsverfahren war er in die nationalsozialistischen Verbrechen gegen Geisteskranke verstrickt.

Portrait der Universität Kiel über Hans Gerhard Creutzfeld:

Am 27. Juli 1938 teilte das Gesundheitsamt Königsberg dem Erbgesundheitsgericht Kiel mit, dass Margarete D. von der Polizei zwangsweise in ein Krankenhaus gebracht werden sollte, um sterilisiert zu werden. [ Kreisarchiv Nordfriesland ]

Am 27. Juli 1938 teilte das Gesundheitsamt Königsberg dem Erbgesundheitsgericht Kiel mit, dass Margarete D. von der Polizei zwangsweise in ein Krankenhaus gebracht werden sollte, um sterilisiert zu werden.
[Kreisarchiv Nordfriesland]

Zwangssterilisation
Drei Geschwister aus Rantrum

Heinrich H. und seine Frau Dora lebten in Rantrum und hatten sieben Kinder. Die vier Jungen und drei Mädchen waren zwischen 1900 und 1916 zur Welt gekommen. Einer der Söhne starb im Alter von fünf Jahren bei einem Unfall. Zwei der Jungen waren fast taub und eines der Mädchen schwerhörig.

Das Staatliche Gesundheitsamt der Kreise Husum und Eiderstedt begann 1939, sich für die gehörgeschädigten Geschwister zu interessieren. Johannes, Peter und Marie H. waren längst erwachsen und berufstätig. Am 11. Januar 1940 mussten sie beim Gesundheitsamt in Husum erscheinen. Dort untersuchte der stellvertretende Amtsarzt Schünemann die drei und fertigte Gutachten über sie an. Am selben Tag beantragte Amtsarzt Hommelsheim ihre Unfruchtbarmachung. Die beiden Ärzte begründeten die Anträge an das Erbgesundheitsgericht Flensburg mit „erblicher Taubheit“. Für weitere Auskünfte über die Geschwister verwiesen sie auf deren Eltern und auf die Gesundheitspflegerin Maria Volquartz. Außerdem nannten sie die Schulen, die Johannes, Peter und Marie besucht hatten.

Das Erbgesundheitsgericht Flensburg bat daraufhin den Schulleiter von Rantrum und den Ortsvorsteher von Mildstedt um Auskunft. Beide konnten nicht berichten, dass es in der Familie H. und ihrer weiteren Verwandtschaft Fälle von Taubheit gegeben hätte. Daraufhin beschloss das Erbgesundheitsgericht am 28. Februar 1940,…„ein Gutachten der Universitäts-Ohrenklinik in Kiel darüber einzuholen, ob Peter H(…), Johannes H(…)  und Marie H(…) an erblicher Taubheit im Sinne des Gesetzes vom 14. Juli 1933 leiden.“ [Kreisarchiv Nordfriesland]

Die Ärzte der Kieler Universitäts-Ohrenklinik untersuchten die Geschwister am 20. März 1940. Sie erstellten drei ausführliche Gutachten, auf die sich das Erbgesundheitsgericht bei seinem Beschluss stützte.

Peter H. wurde ebenso wie Johannes und Marie per Postkarte aufgefordert, sich in Kiel untersuchen zu lassen. Auf der Rückseite jeder Postkarte bestätigte die Universitäts-Ohrenklinik, dass die Untersuchung stattgefunden hatte. Für das Gutachten der Universitäts-Ohrenklinik war eine Fahrt nach Kiel erforderlich. Am 20. März 1940 wurden Peter, Johannes und Marie H. von ihrer Schwester Paula dorthin begleitet. Um rechtzeitig anzukommen, mussten sie frühmorgens einen Zug nach Neumünster nehmen und von dort nach Kiel fahren. Nach dem Besuch der Universitätsklinik verbrachten sie den Nachmittag in der Stadt. Abends fuhren sie mit dem Zug über Rendsburg zurück nach Rantrum. Die entwerteten Fahrkarten von Rantrum nach Neumünster, von Neumünster nach Kiel und von Kiel nach Rantrum reichte Paula H. beim Erbgesundheitsgericht Flensburg ein. Die Geschwister hatten die Kosten für die Fahrt zur Universitäts-Ohrenklinik und für das Mittagessen in Kiel vorgestreckt. [ Kreisarchiv Nordfriesland ]

Peter H. wurde ebenso wie Johannes und Marie per Postkarte aufgefordert, sich in Kiel untersuchen zu lassen.
Auf der Rückseite jeder Postkarte bestätigte die Universitäts-Ohrenklinik, dass die Untersuchung stattgefunden hatte.
Für das Gutachten der Universitäts-Ohrenklinik war eine Fahrt nach Kiel erforderlich. Am 20. März 1940 wurden Peter, Johannes und Marie H. von ihrer Schwester Paula dorthin begleitet. Um rechtzeitig anzukommen, mussten sie frühmorgens einen Zug nach Neumünster nehmen und von dort nach Kiel fahren. Nach dem Besuch der Universitätsklinik verbrachten sie den Nachmittag in der Stadt. Abends fuhren sie mit dem Zug über Rendsburg zurück nach Rantrum.
Die entwerteten Fahrkarten von Rantrum nach Neumünster, von Neumünster nach Kiel und von Kiel nach Rantrum reichte Paula H. beim Erbgesundheitsgericht Flensburg ein. Die Geschwister hatten die Kosten für die Fahrt zur Universitäts-Ohrenklinik und für das Mittagessen in Kiel vorgestreckt.
[Kreisarchiv Nordfriesland]

Zwangssterilisation
Gehörlos oder schwerhörig?

Johannes H.

Johannnes H., geboren am 5. November 1906 in Rantrum, war fast taub. Dennoch wurde er 1913 in Rantrum eingeschult. Der Schulleiter schlug 1919 vor, ihn nach Schleswig zur Landes-Gehörlosenschule zu schicken, doch sein Vater war dagegen. 1922 wurde Johannes H. aus der Volksschule entlassen. Anschließend lebte er als Landarbeiter weiter bei seinen Eltern.

Johannes H. wollte nicht sterilisiert werden. Das teilte er dem Erbgesundheitsgericht Flensburg Ende Januar 1940 mit. Im März 1940 musste er sich zusammen mit seinen beiden Geschwistern in der Universitäts-Ohrenklinik in Kiel untersuchen lassen.

Das Gutachten der Universitäts-Ohrenklinik besagte, dass Johannes H.s Taubheit erblich sei. Daraufhin beschloss das Erbgesundheitsgericht Flensburg am 23. April 1940, dass er sterilisiert werden sollte. Er wurde am 4. Juni 1940 im Krankenhaus Husum von Dr. Stoppel unfruchtbar gemacht. Anschließend lebte er weiterhin in Rantrum. Nach dem Zweiten Weltkrieg erlitt Johannes H. in der Nähe von Ohrstedt ein Zugunglück. Er starb am 20. Januar 1948 in Schleswig.

Auf dem Klassenfoto von 1921 ist der damals 14 oder 15 Jahre alte Johannes H. der vierte von rechts in der zweiten Reihe von oben. [ Dorfmuseum Rantrum ]

Auf dem Klassenfoto von 1921 ist der damals 14 oder 15 Jahre alte Johannes H. der vierte von rechts in der zweiten Reihe von oben.
[Dorfmuseum Rantrum]

Am 27. Mai 1940 wurde Johannes H. von Amtsarzt Hommelsheim aufgefordert, sich bis binnen 14 Tagen im Städtischen Krankenhaus in Husum zur Unfruchtbarmachung aufnehmen zu lassen. Als Ende der Frist wurde der 10. Mai 1940 eingetragen, der zum Zeitpunkt des Schreibens bereits verstrichen war. Auf der Rückseite des Formulars wurde angekündigt: „Sollte diese Aufforderung nicht befolgt werden, so muß nach den gesetzlichen Bestimmungen die Unfruchtbarmachung gegen Ihren Willen evtl. durch polizeilichen Zwang vorgenommen werden.“ [Kreisarchiv Nordfriesland]
Am 27. Mai 1940 wurde Johannes H. von Amtsarzt Hommelsheim aufgefordert, sich bis binnen 14 Tagen im Städtischen Krankenhaus in Husum zur Unfruchtbarmachung aufnehmen zu lassen. Als Ende der Frist wurde der 10. Mai 1940 eingetragen, der zum Zeitpunkt des Schreibens bereits verstrichen war. Auf der Rückseite des Formulars wurde angekündigt: „Sollte diese Aufforderung nicht befolgt werden, so muß nach den gesetzlichen Bestimmungen die Unfruchtbarmachung gegen Ihren Willen evtl. durch polizeilichen Zwang vorgenommen werden.“ [Kreisarchiv Nordfriesland]

Am 27. Mai 1940 wurde Johannes H. von Amtsarzt Hommelsheim aufgefordert, sich bis binnen 14 Tagen im Städtischen Krankenhaus in Husum zur Unfruchtbarmachung aufnehmen zu lassen. Als Ende der Frist wurde der 10. Mai 1940 eingetragen, der zum Zeitpunkt des Schreibens bereits verstrichen war. Auf der Rückseite des Formulars wurde angekündigt: „Sollte diese Aufforderung nicht befolgt werden, so muß nach den gesetzlichen Bestimmungen die Unfruchtbarmachung gegen Ihren Willen evtl. durch polizeilichen Zwang vorgenommen werden.“
[Kreisarchiv Nordfriesland]

Marie H.

Marie H. kam am 21. September 1911 in Rantrum zur Welt. Trotz ihrer Schwerhörigkeit wurde sie 1918 in Rantrum eingeschult. Sie wurde 1926 mit der Beurteilung„Führung: sehr gut, Fleiß: gut“ und mit schriftlich genügenden Leistungen in Deutsch und Rechnen aus der Volksschule entlassen. Anschließend machte sie eine dreijährige Ausbildung zur Schneiderin und übte dann in Rantrum ihren Beruf aus.

Im Januar 1940 beantragte Amtsarzt Hommelsheim beim Erbgesundheitsgericht Flensburg, Marie H. wegen „erblicher Taubheit“ unfruchtbar zu machen. Daraufhin teilte Marie H. dem Gericht mit, dass sie die Unfruchtbarmachung verweigerte. Am 23. April 1940 lehnte das Erbgesundheitsgericht Flensburg die Sterilisation von Marie H. ab. Dabei berief es sich auf das Gutachten der Kieler Universitäts-Ohrenklinik:

Auf dem Klassenfoto von 1919 ist die damals sieben oder acht Jahre alte Marie H. die zweite von rechts in der oberen Reihe. [ Dorfmuseum Rantrum ]

Auf dem Klassenfoto von 1919 ist die damals sieben oder acht Jahre alte Marie H. die zweite von rechts in der oberen Reihe.
[Dorfmuseum Rantrum]

„Nach dem Gutachten ist Marie H(…) stark schwerhörig, Flüstersprache versteht sie nicht, Umgangssprache wird rechts verstanden bis zu ½ m Entfernung und links am Ohr. Es ist auch anzunehmen, daß der Gehörmangel auf Erbanlage beruht. Trotzdem kann die beantragte Unfruchtbarmachung nicht angeordnet werden, da der Gehörmangel nicht den Grad der Taubheit erreicht.“

[Kreisarchiv Nordfriesland]

Am 18. Januar 1940 teilte der Hauptlehrer der Rantrumer Schule dem Erbgesundheitsgericht Flensburg mit, welche Informationen er über Johannes und Marie H. und über Familie H. zusammengetragen hatte.  [Kreisarchiv Nordfriesland]

Am 18. Januar 1940 teilte der Hauptlehrer der Rantrumer Schule dem Erbgesundheitsgericht Flensburg mit, welche Informationen er über Johannes und Marie H. und über Familie H. zusammengetragen hatte.
[Kreisarchiv Nordfriesland]

„Rantrum, den 28.1.1940

An den

Vorsitzenden des Erbgesundheitsgerichts

Flensburg

Auf das dortige Schreiben XIII.4/40 vom 15. Januar 1940 teile ich folgendes mit: Ich weigere mich, die Unfruchtbarmachung bei mir vornehmen zu lassen.

Die Weigerung begründe ich wie folgt:

In dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (Erbgesundheitsgesetz) […] sind zur Unfruchtbarmachung u.a. auch mit erblicher Taubheit Belastete vorgesehen. Da ich aber nicht taub, sondern nur schwerhörig bin, findet das Gesetz auf mich keine Anwendung, zumal ich nicht taub geboren bin. Von einer erblichen Belastung meinerseits kann auch nicht gesprochen werden, da Nachforschungen in der Familiengeschichte keinen Fall von Taubheit aufweisen. Außerdem bin ich im Besitze meiner völligen geistigen und körperlichen Kräfte. Der Beweis findet sich dadurch gegeben, daß ich in der Schule nie sitzengeblieben bin. Außerdem habe ich nach meiner Schulentlassung drei Jahre das Handwerk der Schneiderin gelernt und die Gehilfinnenprüfung mit gut bestanden. Diesen Beruf fülle ich heute noch voll aus. Ernstlich erkrankt bin ich nie gewesen.

Heil Hitler!

Marie H(…)“

Marie H. teilte dem Erbgesundheitsgericht Flensburg Ende Januar 1940 mit, warum sie die Sterilisation verweigerte

[KREISARCHIV NORDFRIESLAND]

Am 23. April 1940 lehnte das Erbgesundheitsgericht Flensburg die Sterilisation von Marie H. ab. Dabei berief es sich auf das Gutachten der Kieler Universitäts-Ohrenklinik. [Kreisarchiv Nordfriesland]
Am 23. April 1940 lehnte das Erbgesundheitsgericht Flensburg die Sterilisation von Marie H. ab. Dabei berief es sich auf das Gutachten der Kieler Universitäts-Ohrenklinik. [Kreisarchiv Nordfriesland]

Am 23. April 1940 lehnte das Erbgesundheitsgericht Flensburg die Sterilisation von Marie H. ab. Dabei berief es sich auf das Gutachten der Kieler Universitäts-Ohrenklinik.
[Kreisarchiv Nordfriesland]

Zwangssterilisation
Keine sofortige Beschwerde

Peter H.

Peter H. wurde am 19. Januar 1908 in Rantrum geboren. Seine Taubheit wurde bemerkt, als er vier Jahre alt war. Er besuchte von 1915 bis 1924 die Landes-Gehörlosenschule mit Heim in Schleswig und machte dort auch eine Ausbildung zum Schuhmacher. Danach betrieb er ein eigenes Schuhmachergeschäft in Rantrum. 1931 trat er in die NSDAP ein.

Zusammen mit Amtsarzt Hommelsheim stellte Peter H. am 11. Januar 1940 einen Antrag auf seine eigene Unfruchtbarmachung. Am 23. April 1940 beschloss das Erbgesundheitsgericht Flensburg, dass er wegen „erblicher Taubheit“ zu sterilisieren sei. Peter H. legte keine sofortige Beschwerde dagegen ein. Er wurde am 3. Juni 1940 im Krankenhaus Husum von Dr. Stoppel unfruchtbar gemacht. Weil sterilisierte Männer als „wehruntauglich“ galten, wurde er nicht zum Kriegsdienst einberufen.

Verweigerte Entschädigung

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Peter H. weiterhin als selbständiger Schuhmacher in Rantrum ansässig. Im Januar 1957 stellte er einen Antrag auf Entschädigung für seine Zwangssterilisation. Grundlage dafür war das Entschädigungsgesetz der Bundesrepublik Deutschland vom 19. September 1953. Entschädigt werden konnten damals nur Menschen, die aufgrund ihrer politischen Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus, ihrer „Rasse“, ihres Glaubens oder ihrer Weltanschauung verfolgt oder durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen geschädigt worden waren. Am 31. März 1958 lehnte das Landesentschädigungsamt Schleswig-Holstein den Antrag von Peter H. ab.

Die Ablehnung wurde zum einen damit begründet, dass Peter H. am 1. April 1931 in die NSDAP eingetreten war. Er gab zwar an, aus beruflichen Gründen zum Eintritt in die Partei gezwungen gewesen zu sein, um weiterhin seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Laut Bundesentschädigungsgesetz konnten Mitglieder der NSDAP aber generell nicht entschädigt werden.

Zum anderen berief das Landesentschädigungsamt sich darauf, dass Peter H.s Unfruchtbarmachung rechtmäßig gewesen sei. Der Bundestag änderte diese Rechtslage erst 1988. Weitere zehn Jahre vergingen, bis die Urteile der Erbgesundheitsgerichte 1998 aufgehoben wurden.

Peter H. musste seinem Antrag auf Entschädigung eine „Wahrheitsgemäße Erklärung“ über den Schaden beilegen, den er während des Nationalsozialismus erlitten hatte. [ Landesarchiv Schleswig-Holstein | Abt. 761 | Nr. 20061 ]

Peter H. musste seinem Antrag auf Entschädigung eine „Wahrheitsgemäße Erklärung“ über den Schaden beilegen, den er während des Nationalsozialismus erlitten hatte.
[Landesarchiv Schleswig-Holstein | Abt. 761 | Nr. 20061]

Der Beschluss des Erbgesundheitsgerichts in Flensburg, dass „der Schuhmacher Peter H. In Rantrum“ unfruchtbar zu machen sei, wurde ihm  am 3. Mai 1940 zugestellt. Peter H. verzichtete darauf, eine sofortige Beschwerde dagegen einzulegen. Das teilte das Erbgesundheitsobergericht in Kiel dem Erbgesundheitsgericht in Flensburg am 21. Mai 1940 mit. Der Gerichtsbeschluss vom 23. April 1940 wurde somit am 25. Mai 1940 rechtskräftig.  Mit der Rechtmäßigkeit des damaligen Gerichtsverfahrens begründete das Landesentschädigungsamt Schleswig-Holstein am 31. März 1958, dass es den Entschädigungsantrag von Peter H. ablehnte. [Kreisarchiv Nordfriesland]

Der Beschluss des Erbgesundheitsgerichts in Flensburg, dass „der Schuhmacher Peter H. In Rantrum“ unfruchtbar zu machen sei, wurde ihm  am 3. Mai 1940 zugestellt. Peter H. verzichtete darauf, eine sofortige Beschwerde dagegen einzulegen. Das teilte das Erbgesundheitsobergericht in Kiel dem Erbgesundheitsgericht in Flensburg am 21. Mai 1940 mit. Der Gerichtsbeschluss vom 23. April 1940 wurde somit am 25. Mai 1940 rechtskräftig.

Mit der Rechtmäßigkeit des damaligen Gerichtsverfahrens begründete das Landesentschädigungsamt Schleswig-Holstein am 31. März 1958, dass es den Entschädigungsantrag von Peter H. ablehnte.
[Kreisarchiv Nordfriesland]

„Ich […] betone nochmals, daß dies eine Zwangsmaßnahme war und eine Schädigung an meinem Körper. Dieser Körperschaden ist während der Nazizeit passiert, heutzutage im demokratischen Deutschland war es Freiheitsberaubung und wäre es nicht passiert.“
Peter H. an das Landesentschädigungsamt Schleswig-Holstein

14. August 1957

„Ich möchte nochmals bekräftigen, daß diese Maßnahme unter Zwang geschehen ist, und somit eine Familiengründung mit Kinder[n] zu nichte gemacht wurde.“
Peter H. an das Landesentschädigungsamt Schleswig-Holstein

25. März 1958

„[Die] Sterilisation, die nach einem ordentlichen Verfahren aufgrund des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 durchgeführt worden ist, ist keine nationalsozialistische Gewaltmaßnahme im Sinne der §§ 1 und 2 BEG [Bundesentschädigungsgesetz]. Das vorgenannte Gesetz ist nämlich nicht als ein typisch nationalsozialistisches anzusehen, weil in anderen demokratischen Staaten (z.B. in Schweden, Finnland und Kanada) entsprechende Gesetze in Kraft sind.“
Landesentschädigungsamt Schleswig-Holstein an Peter H.

31. März 1958

Danksagung

Wir danken den folgenden Einrichtungen

Amt Pellworm, Bezirksregierung Düsseldorf, Bibliothek der Medizinischen Hochschule Hannover, Deutsche Geologische Gesellschaft, Dorfmuseum Rantrum, Einwohnermeldeamt Drebach, Einwohnermeldeamt Südheide, Gedenkort T4, Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein, Geozentrum Hannover, Geschichtsverein Eschweiler, Kreisarchiv Landkreis Celle, Kreisarchiv Nordfriesland, Landesarchiv Berlin, Landesarchiv Schleswig-Holstein, Museumsverbund Nordfriesland, Niedersächsisches Landesarchiv – Abteilung Hannover, Staatsarchiv Hamburg, Stadtarchiv Bonn, Stadtarchiv Elmshorn, Stadtarchiv Hannover, Stadtarchiv Moers, Stadtarchiv Bad Pyrmont, Stadtverwaltung Kaltenkirchen, Standesamt Eschweiler, Standesamt Gelenau, Standesamt Husum, Standesamt Zschopau, Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas

Impressum

Ausstellungsimpressum

  • Herausgeber: Kreis Nordfriesland/ Husum-Schwesing | KZ-Gedenkstätte und Haus der Gegenwart in Kooperation mit dem Kreisarchiv Nordfriesland
  • Konzept, Recherche, Text: Dr. Janine Doerry, Marlo Grieving
  • Webdesign: Philipp Cordts
  • Wissenschaftliche Beratung: Dr. Antje Petersen, Prof. Dr. Sabine Schleiermacher
  • Lektorat: Philipp Cordts, Nathalie Gerstle, Lena Kühl
  • Gestaltung: Uli Heid
  • Nutzungsrechte für Bilder und Dokumente: Dorfmuseum Rantrum, Kreisarchiv Nordfriesland, Landesarchiv Schleswig-Holstein

Impressum Website

Kreis Nordfriesland
Johanna Jürgensen
König-Friedrich V.-Allee
Schloss vor Husum
25813 Husum
stiftung@nordfriesland.de
04841-89730
www.husumschwesing.de

Der Regionalteil der Ausstellung wurde gefördert durch: